Mariendisteln hier, Wilde Möhren dort. Und dazwischen immer wieder Malven. Wer mit Maurice Maggi in der Stadt Zürich unterwegs ist, lernt nicht nur die Namen der Pflanzen und Blumen kennen, die das Strassenbild prägen. Der Zürcher Pionier des Guerrilla Gardening, des wilden Gärtnerns im öffentlichen Raum, weiss auch sonst viel über Grünflächen zu erzählen – über bestehende und fehlende. «In Zürich gibt es immer noch viele Orte, die grüner sein könnten», sagt Maggi. Seit 40 Jahren streift er mit seinem Saatgut durch die Stadt und sät Blumen und essbare Pflanzen an ausgewählten Stellen. Im europäischen Vergleich attestiert der gelernte Landschaftsgärtner Zürich schlechte Karten: «In Städten wie Paris, London und Wien werden mehr Flächen entsiegelt, mehr Parkanlagen geschaffen sowie Dächer und Fassaden besser zum Bepflanzen genutzt.» Und diese kleinräumigen Inseln wirkten sich positiv auf das Stadtklima aus und seien wichtig für den Erhalt der Biodiversität – also der Vielfalt an Tieren, Pflanzen und natürlichen Lebensräumen.
Was Maurice Maggi damit meint, zeigt sich am Beispiel des Zürcher Hardplatzes. Der grosse Platz bei der Auffahrt auf die Hardbrücke im Kreis 4 wurde bei der Realisierung einer neuen Tramlinie über die Hardbrücke neu gestaltet. Zwar finden sich einzelne mit Pflanzen begrünte Kiesflächen am Platzrand, grösstenteils aber ist der Boden versiegelt und bietet keinen Lebensraum für Insekten und andere Kleintiere. Damit ist der Hardplatz kein Einzelfall: Laut einem Bericht des Bundesamts für Umwelt sind knapp 63 Prozent der Siedlungsflächen in der Schweiz versiegelt, das heisst mit Gebäuden oder betonierten Flächen verbaut. Mit rund 1920 Quadratkilometern entspricht diese Fläche fast jener des Kantons St. Gallen. In Kombination mit der steigenden Lichtverschmutzung in Siedlungen zählen die schwindenden Lebensräume zu den Hauptgründen für den anhaltenden Rückgang an Insektenarten in der Schweiz.
«Absurderweise ziehen sich Insekten heute vermehrt in die Stadt zurück, weil ihnen die Überdüngung durch die Landwirtschaft in ländlichen Gebieten zusetzt»
Ausgerechnet der Stadt käme im Kampf gegen den Insektenschwund aber eine zentrale Rolle zu. «Absurderweise ziehen sich Insekten heute vermehrt in die Stadt zurück, weil ihnen die Überdüngung durch die Landwirtschaft in ländlichen Gebieten zusetzt», erklärt Maggi. Aus diesem Grund möchten der Guerilla-Gärtner und einige Gleichgesinnte mittels Crowdfunding ein Wildbienen-Reservoir auf dem Hardplatz in Zürich schaffen: «Der Platz befindet sich mitten im Verkehrsgewusel, trotzdem könnte er ein kleines Biotop sein.» Gemäss Maggi sind für Wildbienen nämlich nicht Art und Grösse eines Lebensraums entscheidend, sondern die Vernetzung zwischen den einzelnen Standorten. Die entsprechenden Pflanzen sollten in einer Distanz von maximal einem Kilometer liegen, damit die Bienen sie zum Bestäuben gut anfliegen können.
Die Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen durch Insekten ist für ein funktionierendes Ökosystem ebenso zentral wie für unsere Ernährung. Schätzungen der Akademie der Naturwissenschaften zufolge könnte ein Fehlen der Blütenbestäuber kurzzeitig zu einem Ausfall von bis zu acht Prozent der weltweit produzierten Menge an Nahrungsmitteln führen. Besonders betroffen wären vitaminreiche Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage nach mehr selbst angebautem Essen geradezu auf. Wie Selbstversorgung im urbanen Raum funktioniert, beweist Maurice Maggi mit seinem Kochbuch «Essbare Stadt». Darin zeigt der Guerilla-Gärtner und passionierte Koch, wie man mit Zutaten kocht, die wortwörtlich vor der eigenen Tür wachsen. Das passt zum Zeitgeist: Einerseits liegt vegetarische und vegane Ernährung im Trend, anderseits hat der pandemiebedingte Lockdown im Frühling 2020 neue Bedürfnisse hervorgerufen. Maggi erhielt damals viele Anfragen von Familien, die draussen nach essbaren Pflanzen suchen wollten. Also veröffentlichte er kurze Videos zum Thema «Krisenküche».
Viele essbare Schätze, die in Zürich zu finden sind, sind das Ergebnis von Maggis Aussaaten. Er mische gerne Gemüse in sein Saatgut, sagt er, und freue sich, wenn die Leute es ernten würden. Und wie ist er überhaupt zum Pionier im wilden Gärtnern geworden? «Ich stamme aus einer subversiven Ecke» – Maggi schmunzelt – «und wollte das zwinglianische Zürich grüner und schöner machen.» Kein Zufall also, dass viele seiner Saaten ebenfalls aus einer Subkultur stammen: «Es sind Pionierpflanzen, die aus einer Nische heraus etwas verändern.»
Empfehlenswerte Kochbücher von Maurice Maggi:
«Essbare Stadt» und «Einfache Vielfalt», Videos zur «Krisenküche»