Dass man aus Holunderblüten einen fruchtig-sü.en Sirup herstellen kann, Bärlauch zum herrlich schmackhaften Pesto taugt und Brennnesseltee entzündungshemmend wirkt, wissen viele. „Aber eigentlich kann man fast alles essen, was die Natur vor unserer Haustüre zu bieten hat“, sagt Maurice Maggi (65).
Der Zürcher ist gelernter Landschaftsgärtner und Koch und schweizweit als Zürichs „Guerilla-Gärtner“ bekannt. Seit über 36 Jahren verteilt er auf eigene Faust und Kosten Saatmischungen mit rund 50 Wildblumen und -kräutern in der eidgenössischen Metropole.
„Das ist eine echte Herzensangelegenheit“, sagt er stolz, „ich will meine Stadt für Insekten, Vögel und Menschen lebenswerter, schöner und essbarer machen.“
Und wie essbar nicht nur Zürich, sondern eigentlich alle Dörfer, Gemeinden und Städte unseres Breitengrades sind, hat Maurice Maggi in seinem Buch „Essbare Stadt – Wildwuchs auf dem Teller, Rezepte mit Pflanzen aus der Stadt“, das 2019 bereits in der dritten Auflage erschienen ist, festgehalten.
Ob Löwenzahn, Brennnessel, Veilchenblüten, Eibenbeeren oder junge Linden-, Buchen- oder Ahornblätter – bei Maggi landet alles im Kochtopf!
„Es ist eine wahre Freude, bei Spaziergängen in der Nachbarschaft neue Geschmäcker, Konsistenzen und Möglichkeiten zu entdecken“, schwärmt er.
Bei einem Streifzug im vergangenen Jahr hat Maggi sogar eine besonders erstaunliche Entdeckung gemacht: „Wir waren mit einem Trüffelsuchhund unterwegs und haben unter uralten Bäumen in Parks und auf Friedhöfen ganze 40 Gramm schwarzen Trüffel gefunden“, lacht er, „es ist unvorstellbar, was die Natur direkt vor unserer Haustüre für Überraschungen bereithält.“
Er sei ein echtes Stadtkind, wurde in Zürich geboren, lebte zwischenzeitlich in Rom und New York. „Aber Schon als Jugendlicher habe ich auf dem Schulweg den Nektar der Kleeblüten ausgesaugt oder sie knallroten Eibenbeeren genascht“, erinnert er sich, „als mein Biolehrer dann irgendwann gesagt hat, Eibe sei giftig, begann ich mich genauer damit auseinanderzusetzen.“
Sein Rechercheergebnis: Das süsse Fruchtfleisch der Eibenbeeren ist essbar, Kerne und Grünzeug hochgiftig. „Bei vielen Pflanzen ist nur ein Teil essbar, dieser besondere Teil ist dafür aber oft eine echte Delikatesse“, sagt Maurice Maggi, „viele Wildkräuter haben einen sehr intensiven Geschmack und eigenen sich daher bereits in kleinster Dosierung zum Würzen und Verfeinern.“
Löwenzahn und Brennnessel, Flieder- oder Wegwartenblüten, Primel- und Schlüsselblumenbl.tter sowie -blüten streut er beispielsweise am liebsten frisch über Salate oder Tellergerichte. „Die saisonalen heimischen Produkte enthalten immer genau die Nähr- und Vitalstoffe, die unser Körper in der entsprechendes Jahreszeit besonders guttun“, sagt Maggi.
Wasserreiche Lebensmittel wie Gurke, Beeren und Tomate reifen im Sommer. Gut Lagerfähiges ist im Herbst erntefertig, wie etwa Kohlsorten, Äpfel, Quitten oder Wildbirnen. „Das ist ein Geschenk der Natur, dass es zu entdecken gilt“, sagt der Koch. Für die kargeren kalten Jahreszeiten legt er zum Beispiel Bärlauchknospen in Öl ein, verarbeitet Wildbeeren und -früchte (etwa Heidelbeeren, Wilderdbeeren, Brombeeren, Sanddorn, Quitte, Felsenbirnen oder Hagebutte) oder Blüten wie Schlüsselblumen- oder Veilchenblüten zu süssem oder würzigem Kompott oder Gelee.
Aus Baum- und Buschblüten wie Linden- oder Holunderblüten macht er Sirup sowie aromatisierten Wein oder Essig. Bei allem Frischgepflückten versuche er dann durch Experimentieren und Ausprobieren das beste aus dem herauszukitzeln, was die urbane Natur uns schenkt. „Essbares Wildes ist ein natürlicher Reichtum“, schwärmt der Koch. Sein Plädoyer:
„Seien Sie mutig! Probieren Sie sich durch die Vielfalt vor unserer Haustüre und lassen Sie sich von den wilden Geschmacksnoten verführen – es lohnt sich!
Erkennen: Eine Wildpflanzenwanderung unter fachkundiger Anleitung bietet für Neulinge erste Orientierung. Aber auch ein Bestimmungsbuch mit Detailaufnahmen und Hinweisen zu Textur, Geruch und Verwechslungsgefahren kann helfen. Maurice Maggis Tipp: Die App PlantNet. „Sie bietet Bilder von Blättern, Blüten, Stielen, Rinde und wächst stetig weiter, weil Nutzer Bilder hinzufügen können“, so Maggi.
Den Ort wählen: „Sammeln Sie an einem Ort, den Sie kennen und dessen Umwelteinflüsse Sie vernünftig beurteilen können“, rät Maurice Maggi. Gassirouten, stark befahrene Straßen und unsaubere Ecken bei Fußballstadien und Bars sollten gemieden werden.
Den Ort wählen: „Sammeln Sie an einem Ort, den Sie kennen und dessen Umwelteinflüsse Sie vernünftig beurteilen können“, rät Maurice Maggi. Gassirouten, stark befahrene Straßen und unsaubere Ecken bei Fußballstadien und Bars sollten gemieden werden.
Gesetz beachten: Abgesehen von Naturschutzgebieten, in denen das Pflücken verboten ist, darf im Wald und auf Gemeindeflächen Jedermann für den Eigenbedarf Beeren, Kräuter, Blüten und Pilze in nicht genau definierten Kleinmengen ernten. Bei Wiesen und Weiden ist es etwas strenger: Landwirtschaftlich genutzte Flächen dürfen laut Naturschutzgesetz während der Nutzzeit, also zwischen Saat und Ernte oder während der Beweidung, nur auf Wegen betreten werden. Privatgrundstücke dürfen nur mit Erlaubnis des Besitzers betreten werden.
Respektvoll ernten: „Wildpflanzen in der freien Natur sind kollektives Eigentum“, sagt der Profi, „ernten Sie daher mit Respekt und nur so viel, wie Sie gerade selbst verwerten wollen.“ Um Pflanzen und besonders Wurzeln nicht zu beschädigen, sollten Sammler eine Schere oder ein kleines Messer dabei haben. „Lassen Sie immer ein paar Pflanzen stehen, um ihren Weiterbestand und ihre Vermehrung zu sichern“, rät Maggi, „außerdem können Sie zur Vielfalt beitragen: Ich nehme immer ein paar reife Samen mit und säe sie an einem anderen Ort, um etwas zur urbanen Wildnis beizutragen.“
Verarbeitung: „Verwenden Sie nur sicher bestimmte oder bekannte Pflanzen und lassen Sie diese Notfalls durch einen Kenner prüfen“, sagt der Experte. Danach gilt: gut waschen. „Das meiste kann man roh genießen und erhält so die vielen Nährstoffe von Frischgepflücktem“, sagt Maggi, „wer Angst vor dem Fuchsbandwurm hat, kann die wilden Leckereien kurz blanchieren – ab 70 Grad ist dieser Parasit sicher abgetötet.“