«Es ist ein idealer Ort für eine Aktion», schreibt mir der Guerilla, als ich ihn per E-Mail einlade, den St. Galler Blumenbergplatz mit seinen Pflanzen zu verschönern.
Einen Monat später treffe ich ihn am Hauptbahnhof. Sein vorwitziger und geheimnisvoller Blick erinnert mich an die Kinderbuchfigur Sams. Auf dem Weg zum Blumenbergplatz erzählt Maurice Maggi, wie vor 25 Jahren alles begann: «In Zürich duldete man kein sogenanntes Unkraut rund um Alleebäume. Gab es trotzdem welches, wurde es mit Herbiziden abgeduscht. Mich störte diese städtische Sterilität und so säte ich Malvensamen aus.» Eigentlich sind solche Aussaaten illegal. Doch Stadtgärtnerei und Polizei tolerieren jeweils die künstliche Blumenpracht.
Daucus Carotas, Hypericum Perforatum und Papaver Nudicaule - das sind nicht Decknamen unseres Undercover-Gärtners, sondern die Bezeichnungen für Pflanzen, die auf seiner Liste stehen.
«Ich säe nicht planlos. Es soll erkennbar sein, dass hier ein Mensch am Werk war», erläutert Maurice Maggi. Das Konzept für die braunen Beete am Blumenbergplatz heisst «Tag und Nacht». Wenn im Juni die Blumen spriessen, werden Mond und Sonne auf einem blauen Grund erkennbar sein.
Die Bewegung der heimlichen Stadtgärtner entstand 1973 im New Yorker East Village, wo Anwohner eine kahle Fläche in einen Garten verwandelten. «Das ist aber eine lokale Geschichte. Die Grundidee, ganze Städte zu begrünen, kam erst später auf», sagt Maurice Maggi. Am 1. Mai 2000 trafen sich am Londoner Parliament Square linke Aktivisten, um mit Spaten und Setzlingen «die Strassen zurückzuerobern». Guerilla Gardening, so Maggi, sei aber nicht nur eine Protestform, sondern helfe auch, ein gesundes Mikroklima aufzubauen.
Maurice Maggi nimmt zwei transparente Behälter aus seinem Plastiksack und füllt sie mit verschiedenen Samen. Mit Sand zeichnet er die Figuren seines Blumenkunstwerks auf dem Boden vor. Eine ältere Dame späht hinter ihrem pinkfarbenen Schal auf die ungewohnte Szenerie. Ein Bürotyp Mitte dreissig fragt besorgt, ob etwas Giftiges gestreut werde. Der Guerilla-Gärtner: «Ich mag es nicht, während des Säens in Diskussionen verwickelt zu werden. Wenn es plötzlich wächst und blüht, soll das eine Überraschung für die Leute sein.»
Man freut sich über Maggis Aktionskunst im öffentlichen Raum. Er bekomme immer wieder Blumensamen und Fanpost zugesandt. Einmal schrieb ihm eine Frau, sie habe bei ihrem Coiffeur von Maggi gehört und ihn sich als lang bärtigen Sonderling mit Wollpullover und Sandalen ausgemalt. Sie sei nun aber nach einem Zeitungsartikel überrascht von seiner urbanen Erscheinung.
Nun nimmt er die Samenboxen, schüttelt sie kräftig und beginnt die Saat zu verteilen. Er kratzt an besonders harten Stellen den Boden mit einer kleinen Hacke auf. Maggi ist gelernter Gärtner. Man kann aber auch ohne besondere Ausbildung Blumen-Guerillo werden. «Es ist wichtig, erst zu säen, wenn die Erde mindestens acht Grad warm ist. Die Samen keimen vori alleine, sobald die richtigen Bedingungen herrschen.» Nach weniger als zehn Minuten sind die Wildblumen angesät.
Nach getaner Arbeit in der Kälte plaudert Maurice Maggi bei einem Glas Bier aus seiner Jugend: «Ich war Teil der 68er-Bewegung und tat damals so manch Subversives.» Das illegale Blumenpflanzen sei auch eine Art Flower-Power-Nostalgie, die aber nicht nur Hippie-Seelen erfreue.
Noch bevor die offene Zürcher Drogenszene am Letten entstand, hatte er dort seinen grünen Daumen im Spiel. Die Stadt erklärte seine Blumenwiese Jahre darauf zum Naturschutzgebiet. Pech für Maggi, als er dort ein rollendes Restaurant aufstellen wollte. Er musste sich als Urheber der Artenvielfalt outen und bekam eine Bewilligung.
«Im Alter von 18 Jahren wollte ich Koch werden. Weil ich Diabetes hatte, riet man mir aber von diesem Beruf ab.» Zunächst lebte Maurice Maggi sein hohes Kreativpotenzial als Gärtner aus. Vor 15 Jahren packte ihn dann die Lust, Gastronom zu werden, und er tauschte Hobby und Beruf.
Seine Blumengraffitis sollen auch zum Nachdenken anregen. So liess er als Reaktion auf die roten Sitze im neuen LetzigrundFussballstadion blaue und weisse Blumen gedeihen.
Das Bierglas ist leer, sein Zug nach Hause fährt bald. St. Gallen sei grauer als Zürich, bestätigte er rnir in unserem Gespräch. Ob er also bald in keimender Mission wiederkehrt? Das liegt noch in den Samen verborgen.